Kindliche Entwicklung & Gefühle

Wie wir mit Spiel Bindung stärken können


Ganz am Anfang einer Beziehung: Jede*r Frischverliebte bringt intuitiv Spiel ein, um Kontakt und Nähe herzustellen und zu bewahren. Erinnerst du dich? Das können kleine Gesten sein – wie eine leuchtend gelbe Frühlingsblume zur Begrüßung. Das selbstgekochte Lieblingsessen. Ein in den Geldbeutel hineingeschmuggeltes Liebesbriefchen. 


Alles, was vermittelt: „Du liegst mir am Herzen und ich will mit dir sein! Ich denk an dich! Ich sehe dich und weiß, was dir gefällt!“ Und: Natürlich funktioniert das bei unseren Kindern auch!

Spielen verbindet einfach


Wenn’s hier ums Spielen geht, sind die unterschiedlichsten Spielformen gemeint. Ja, es geht um Rollenspiele, um Brettspiele, um Lego- und Kaplasteine, um Ballspiele und um Verkleidungskisten. Ums Malen und Musizieren. Und es geht ums Verstecken, Fang- und Tobespiele und um Räuber & Gendarm. Es geht aber auch um Spiel im weiteren Sinne. Heißt: Die Kuschelrunde mit Buch nach dem Kindergarten und die Lavendelöl-Massage vor dem Schlafengehen. Um Lachen und Humor. Um Backen und Kochen. Das Frisbee-Spiel mit dem Familienhund und den gemeinsamen Filmeabend mit Pizza. 


Mit Spiel ist einfach alles gemeint, wo’s nicht ums Ergebnis geht. Sondern ums Tun selbst. Spielen um des Spielens willen eben. Nur, wie soll das noch untergebracht werden im vollgepackten Alltag inmitten von Terminen und Zeitdruck? Macht das nicht noch mehr Stress? 


In den Spielmodus schlüpfen

Klar - wenn Spiel zu Arbeit wird, dann schon… Nicht aber, wenn wir uns zwischendurch erlauben, aus unserer Erwachsenen-Arbeitsdenke in den Spielmodus zu schlüpfen. Eine Auszeit von der Realität zu nehmen. Und dabei den eigenen Spielinstinkt aktivieren. Der steckt nämlich in uns allen! 


Und weil Spiel aktives Ausruhen und wie eine Art Ausatmen ist, tut uns das als Erwachsene auch gut! Und falls du nicht so der „Spieletyp“ sind und dein Spielinstinkt sich gut versteckt hat (das passiert in Zeiten von Stress schnell mal ;-): Wofür hast du dich als Kind begeistert?  Was war dein Lieblingsspiel? 


Fest steht: Spielen bringt nicht nur Freude und Lebendigkeit – sondern unterstützt uns dabei, Nähe und Kontakt zu unseren Kindern herzustellen, zu bewahren und zu stärken!  Zum Beispiel können wir das Gewahrsein eines Kindes mit Hilfe von Spiel „einsammeln“ und seine Bindungsinstinkte aktivieren.


Ein sehr bedeutungsvoller Moment von Bindung

Stell dir vor: Du rufst dein Kind zum dritten Mal zum Abendessen. Ohne Erfolg. Dein Kind ist so ins Spiel vertieft, dass es nichts und niemanden zu hören scheint. Grrrrrrr…..Was nun? Statt genervt noch lauter zu rufen, kannst du dich auch einfach neben dein Kind auf den Boden setzen und in seine Spielewelt eintauchen. 


Ich garantiere dir: Es geht nur um einen klitzekleinen -  aber sehr bedeutungsvollen Moment von Bindung. Und das Ganze macht weitaus mehr Spaß, als dein Kind zum vierten Mal zum Essen zu rufen… Du verbindest dich also einen Moment lang mit deinem Kind und mit seiner Begeisterung für seine Spielewelt: Der Ritterkampf ist in vollem Gange!! Feindliche Heere ziehen von Norden auf die Ritterburg zu. Bald ist die ganze Burg umzingelt!!!


Die Erwärmung der Eltern-Kind-Bindung

Inmitten der Rittergefechte schaut dein Kind wahrscheinlich nach einiger Zeit doch zu dir auf, bemerkt deine Gegenwart, lächelt vielleicht... Und dann: ... Dann ist es Zeit für die Ritter, mal eine Pause einzulegen. Im Festsaal ist schon das Mahl aufgetischt und die Ritter müssen sich stärken, damit sie danach wieder in den nächsten Kampf ziehen können ;-)


Dieser Moment der Hinwendung und Einstimmung dient der Erwärmung der Eltern-Kind-Bindung. Die Bindungsinstinkte deines Kindes werden aktiviert. Die Grundlage dafür, dass es dir zum Esstisch folgt! 


Ein Kind, dessen Bindungsenergie nämlich ganz in sein Spiel fließt, wird uns weder hören noch uns folgen. Hier gilt wie immer: Bindung vor Weisung. Und die Bindung, die lässt sich elegant mittels Spiel herstellen. Probiere es einfach mal aus…


Übrigens: Das Erwärmen von Bindung durch Spiel funktioniert nicht nur beim Vorschulkind sondern natürlich auch bei deinem Teenie.

Auszug eines Artikels erschienen im April 2023 in der Zeitschrift  "Mit Kindern wachsen"
Die Originalfassung des Artikels aus "Mit Kindern wachsen" findest du hier.

Brücke zwischen den Welten: Wie Kindheit und Alter sich gleichen

Einer der poetischsten Orte ist für mich die Demenzstation des anthroposophischen Pflegeheims, in dem meine 86jährige Mutter seit einem Jahr lebt. Das mag seltsam klingen. Und liegt mit Sicherheit auch daran, dass ich dort nur zwischendurch als besuchende Angehörige bin. Doch jedes Mal, wenn ich meine Mutter in ihrem Pflegeheim besuche, bezeuge ich vor allem eines: Mitmenschliche Wärme und Verbindung.


Wärme und Verbindung zwischen den Heimbewohnern untereinander. Und zwischen den Bewohnern und den pflegenden Menschen (welch ein Segen!). Eine Verbindung, die weniger durch Worte, sondern viel eher über Gesten körperlicher Berührung - und über Spiel zustande kommt. Genau die Ebene von Verbindung, die es mit unseren kleinen Kindern auch braucht!


Kleine Kinder leben in einer Welt, die natürlicherweise voller Sinnlichkeit, Spiel und Magie ist.
Um sich ihrer Welt zu nähern, braucht es - wie bei den alten Menschen auch - Wärme, Feinfühligkeit und vor allem: Verlangsamung.


Denn: Unsere Vorschulkinder sind keine kleinen Erwachsenen! Sie leben aufgrund ihres unreifen Gehirns in einer anderen Welt. Sie brauchen länger, bis Informationen bei ihnen landen. Sie ticken einfach anders als wir!


Sie sind Wesen, die nur im Hier und Jetzt leben. Impulsive Wesen, deren Gefühle rein und heftig sein können. Schwarz-weiß-Wesen, die nur entweder-oder kennen und kein sowohl-als-auch. Gehirnphysiologisch fehlt Kindern unter 7 ein voll funktionsfähiger präfrontaler Kortex. Der Bereich in unserem Gehirn, der plant, strukturiert, vorausdenkt. Der präfrontale Kortex kann aber noch viel mehr: Er hilft uns, Gefühle zu mischen und zu mäßigen. Er ermöglicht uns geduldiges und rücksichtsvolles Verhalten. Und macht uns zu sozialen Wesen.


Aber ein Kind unter 7 ist da noch nicht…Und das entspricht genau dem natürlichen Entwicklungsplan! Ein Kind unter 7 darf - ja, es muß sogar - zuerst Raupe sein, bevor es sich mit zunehmender Gehirnreife mehr und mehr in den Schmetterling hinein entwickelt.


Für diese Entwicklung braucht ein Kind aber seinen Kokon: Es braucht die Erlaubnis, zu spielen. Die Erlaubnis, zu fühlen. Und es braucht sichere Bindungen zu fürsorglichen Erwachsenen! Erwachsene, die mit ihrer Reife die Unreife des Kindes kompensieren. Erwachsene, die darauf vertrauen, dass aus der Raupe ein Schmetterling wird.


Wenn wir unsere Kinder durch diese Zeit der Verwandlung fürsorglich hindurch begleiten, werden wir reich beschenkt. Durch ein verschmitztes Kinderlächeln, ein liebevolles Ankuscheln oder ein selbstgemaltes Bild voller Herzchen. Und zu seiner Zeit: Durch das überraschende Auftauchen von kleinen Schmetterlingsflügeln!


Und bei den alten Menschen – wie bei meiner Mutter? Bei ihnen geht’s um die rückwärtige Verwandlung: Der präfrontale Kortex bildet sich zurück. Der Weg geht zurück in den Kokon. Stimmen wir uns darauf ein, entsteht auch hier Verbindung! Verbindung, von der aus meine Mutter – auch wenn sie mich nicht mehr als ihre Tochter erkennt – meine Hand nimmt und mir die drei Worte zuflüstert, die immer zählen: „Dich lieb ich!“

Pure Magie  - 10 Dinge, die du über dein (Vorschul-) Kind wissen solltest

Im Garten meiner 5jährigen Nichte haust an der Wurzel eines knorrigen Baumes eine kleine Zwergenfamilie. Jeden Morgen bringen wir der Zwergenfamilie frisches Badewasser in einer Herzmuschel. Einen kleinen Zwergenschwamm zum Schrubben. Und einen frischen Krümel Seife.

In den unteren Ästen des alten Baumes haben wir für die Zwergenkinder eine kleine Schaukel angebracht. Dort schaukeln die Zwerge und freuen sich ihres Lebens 😊

Voller Ehrfurcht und im Flüsterton nähern wir uns jedes Mal der Zwergenbehausung.

Aber: Haben wir die kleinen Wesen jemals gesichtet? Natürlich nicht!

Macht es einen Unterschied? Natürlich nicht!  

Aus einem einfachen Grund: Meine kleine Nichte ist mit ihren 5 Jahren ein typisches Vorschulkind - mit einem unschuldigen Glauben an Magie. 

Bezaubernd!

Die Magie der Vorschulkinder erschliesst sich uns aber nur, wenn wir uns auf ihre so gänzlich andere Welt einstimmen.

Wenn wir uns ihrer Welt nicht mit unserem Erwachsenentempo und unserer Erwachsenendenke nähern. Und auch nicht mit unserem Erwachsenenarbeitsmodus.

Denn: Ein Kind unter 7 ist in einem völlig anderen Universum unterwegs!

Kinder unter 7 sind typischerweise: 

  • Voller reiner und heftiger Emotionen ohne Mäßigung
  • impulsiv und schnell pendelnd zwischen Gefühlen
  • voller guter Vorsätze, die im nächsten Moment vergessen sind
  • im Schwarz-Weiß-Denken unterwegs
  • davon überzeugt, dass sich die ganze Welt um sie dreht
  • undiplomatisch und rücksichtslos
  • allergisch gegen Zwang und Kritik
  • schüchtern gegenüber Fremden
  • sehr nähebedürftig und ängstlich angesichts Trennung
  • verspielt und voll und ganz im Hier und Jetzt (ganz ohne Achtsamkeitskurs ;-)


Und? Erkennst du dein Kind darin? Oder einen anderen Menschen?

Wenn alles gut geht, vollzieht sich dann zwischen 5 und 7 Jahren in deinem Kind eine immense Transformation: Die präfrontale Gehirnrinde reift heran und die beiden Hirnhälften integrieren sich.

Gefühle und Gedanken können gemischt werden. Starke Emotionen werden ausgeglichen und dein Kind wird rationaler und vernünftiger.

Meine kleine Nichte wird also bald aus der Vorschulkindpersönlichkeit herauswachsen. Bestimmt wird sie mich schon im nächsten Jahr ungläubig anschauen, wenn ich ihr vorschlage, den Zwergen frisches Badewasser zu bringen...

Hänschen klein, ging allein...


Damit dein Kind wie Hänschen allein in die weite Welt hineingeht, braucht es immer wieder eines: Loslassen. 

Und das gelingt am besten mit einem guten Boden: Zunächst einem Boden in uns, von dem aus wir unser Kind frei lassen. Von dem aus wir unser Kind ermutigen, ganz es selbst zu sein. Und immer unabhängiger zu werden.

Und es braucht beim Kind den Boden sicherer Bindung, die Verwurzelung, damit es in sein eigenes Selbst hineinwächst. Um allmählich - getrennt von den Bindungen - als eigenständiges Wesen überlebens- und handlungsfähig zu sein.

Denn das ist ja das Ziel!

Aber wodurch wird dieser Autonomie-Prozess angetrieben?

Durch etwas, das uns allen zu Anfang innewohnt: Eine natürliche Neugier auf die Welt und aufs Leben. Eben durch eine Art "Hänschen-Klein-Energie".

Und: Durch den Wunsch, wir selbst zu werden!

Der natürlichste Bereich, in dem dein Kind diesem Wunsch folgt, ist das Spiel. Beim Spielen drückt sich dein Kind mit seiner Persönlichkeit aus und wächst in sein wahres Potenzial hinein!

Du kannst dich also freuen, wenn dein Kind 

  • gern mit Dingen spielt, Dinge ausprobiert und erforscht
  • für sich selbst denkt und verstehen will
  • selten gelangweilt ist
  • Einsamkeit schöpferisch füllt
  • aus eigenem Antrieb lernen will (und da denke ich nicht unbedingt an Hausaufgaben ;-) 
  • voll eigener Ideen ist, Pläne schmiedet und Ziele entwickelt. 


Aber: Bitte dränge dein Kind nicht zur Unabhängigkeit. Dränge es nicht zum Loslassen.

Das alles sind Prozesse, die ihre Zeit brauchen. Jedes Kind in seinem Tempo.

Wir sind "nur" die Gärtner, die den Bindungsboden pflegen und hegen. Der Boden, von dem aus sich dein Kind wie Hänschen auf den Weg in die Eigenständigkeit macht. 

Echte Reife - und der Königsweg dahin

Bestimmt kennst du das auch: Dein Kind trotzt und bockt beim Anziehen. Tickt an der Supermarktkasse aus. Klebt ständig an deinem Rockzipfel und weicht keinen Millimeter von deiner Seite...

Typische Herausforderungen mit einem Kind unter 7 eben.

Typisch für das unreife Gehirn eines Vorschulkindes.

Klar ist: Ein Kind mit einem unreifen Gehirn (und jedes Kind, das sich so benimmt ;-)  fordert uns immens heraus in unserer eigenen Reife!

Aber - was sind überhaupt die Eigenschaften eines reifen Charakters?

Zum Beispiel:

  • Selbstbeherrschung
  • Kooperation und Rücksicht
  • Selbstreflexion
  • Berücksichtigung von Kontext
  • ein reifes Gefühl für Fairness und Vergebung
  • ein natürliches Verständnis für Arbeit und Verzicht
  • Mut, Geduld und Nachsicht
  • Entwicklung spontaner Moral
  • Balance und Stabilität
  • Weitblick und Weisheit


Und? Wie kommt man da hin? Kommt die Reife automatisch mit dem Älterwerden?

Leider nicht! Wir werden zwar alle älter, aber dabei nicht zwingend reif und erwachsen.

Dafür braucht es schon bestimmte Bedingungen.

Allen voran: Sichere Bindungen. Ein weiches Herz. Ruhe. Und Spiel.

Die gute Nachricht ist: Elternschaft ist ein Königsweg für unsere eigene Reifwerdung. 

Indem wir zur Antwort für unsere Kinder werden, reifen wir selbst heran!

Von Monstern und andern Ungeheuern: Umgang mit Ängsten

Ich bin immer wieder von neuem ehrfürchtig, wie genial wir als Menschen doch gestrickt sind.
 
Ausgestattet mit so vielem was uns überleben lässt.
 
Einem feinen Alarmsystem zum Beispiel, das uns vor Gefahren warnt und uns vorsichtig werden lässt.
 
Übrigens - Angst gehört zu den ältesten menschlichen Emotionen. Und das aus gutem Grund.
 
Eine DER Hauptquellen für Alarm für uns Bindungswesen ist (Du ahnst es schon...) Trennung
 
Das gilt für kleine Menschlein in besonderem Maße ;-)
 
Trennung kann in dem Zusammenhang auch einfach heißen: Ein Lebensabschnitt geht zu Ende. Dein Kind wird größer und eigenständiger. Dein Kind checkt auf einmal ganz viele Sachen, von denen es zuvor keine Ahnung hatte. Einfach weil sein Bewußtsein jetzt ein anderes ist.
 
Oder die Schule beginnt. Bald kommt ein kleines Geschwisterchen zur Welt. Es gibt einen Umzug. Papa ist verreist.
 
All dies kann dazu führen, dass Dein Kind alarmiert ist. Ohne es zu merken.
 
Wenn Du Dich im Leben Deines Kindes einmal umschaust, findest Du wahrscheinlich die Quellen des Alarms.
 
Doch: Alarm ist manchmal gar nicht so leicht erkennbar.
 
Er versteckt sich hinter: 

  • forderndem Verhalten


  • verstärktem Nähestreben


  • geringer Frustrationstoleranz


  • Nägelkauen, nervösem Wippen, Bauchweh und ähnlichem


  • und je nach Alter: Monstern und Ungeheuern unterm Bett.


Unter all dem steckt möglicherweise ALARM.
 
Dein Job ist es, das Verhalten Deines Kindes tiefer zu durchschauen.
 
Und zu erkennen: „Ah – da ist gerade richtig viel Alarm im System..."
 
Vielleicht merkst Du an der Stelle, dass das den Blick auf Dein Kind ändert.
 
Dass es Deinen Blick weicher macht. Dass es Dir dabei hilft, an der Seite Deines Kindes zu bleiben statt auf der Verhaltensebene kleben zu bleiben.
 
Und dann: Kannst Du Deinem Kind beistehen.  
 
Indem Du 

  • Deinem Kind vermittelst, dass es gerade alarmiert ist. Und dass Alarm normal ist und zu uns Menschen gehört


  • Du ihm erzählst, was Dich als Kind alarmiert hat und wie Du damit umgegangen bist


  • bei Veränderungen betonst was gleich bleibt


  • Deinem Kind versicherst, dass Du an seiner Seite bist und dass es auf Dich zählen kann.


Zu guter Letzt: Dein Kind so alarmiert zu erleben facht vielleicht Deinen eigenen Alarm an.
 
Schau, dass Du ihn nicht in den Beziehungsraum mit Deinem Kind trägst.
 
Such Dir stattdessen Räume für Dich, in denen Du damit gehalten bist und Dein Alarm sich verwandeln kann. Im besten Fall löst er sich in Tränen...

Damit ringen die allermeisten Eltern: Kindliche Wutausbrüche

Es gibt diese verflixten Tage, an denen im Leben Deines Kindes alles schief läuft. Das Frühstück schmeckt nicht, der Freund hat keine Zeit zum Spielen, das Lieblingsspielzeug geht kaputt...
 
Und dann: Ein NEIN von Dir. Dein Kind fängt an zu toben.
 
Von jetzt auf gleich hast Du einen schäumenden Vulkan vor Dir.
 
Dein Kind brüllt. Schreit. Kreischt. Kratzt. Tritt. Haut. Spuckt.
 
Oder es kommen die wüstesten Schimpfworte aus dem Mund Deines Kindes. Das ganze Alphabet durch - mit dem beliebtesten Buchstaben ganz zu Anfang ;-)
 
So ein Vulkanausbruch kann von 5 Minuten bis zu einer Stunde (oder länger) dauern.
 
Und mündet im besten Fall hin zu den Tränen. Von SAUER NACH TRAUER.
 
Aber der Weg dorthin....Herrje! Ein Härtetest für uns Eltern!
 
Was kann Dir helfen, Dein Kind durch diesen emotionalen Sturm zu begleiten, ohne dass es Dich selbst dabei wegspült?
 
Was liegt dem überhaupt zugrunde?
 
Die Wahrheit ist: Wie auch immer der Vulkanausbruch Deines Kindes ausschaut - darunter liegt immer die eine Uremotion - nämlich Frustration.
 
Frustration ist eine der drei Kernemotionen von uns Menschen - übrigens von allen Säugetieren.
 
Frustration heißt:  ETWAS FUNKTIONIERT NICHT im Leben Deines Kindes.

Zum Beispiel - Dein Kind wurde in der Schule von seinen Mitschülern geärgert, die Kita-Erzieherin war ungerecht oder die beste Freundin kann doch nicht ins Schwimmbad mitkommen. Und und und...
 
Wenn Du Dich im Leben Deines Kindes umschaust, wirst Du erkennen, dass es voller Vergeblichkeiten und potentieller Frustrationen ist.  
 
Zwei Schlüssel für den Umgang mit einem Wutausbruch Deines Kindes hältst Du damit schon in der Hand:

  • Du konzentrierst Dich auf die Emotion, die unter dem Wutausbruch liegt. Frustration. Chaotisch wie alle Emotionen. 
  • Du fragst Dich: Was war vor dem Wutausbruch? Was heizt die Frustration Deines Kindes gerade an? 


Ein dritter Schlüssel ist: Du normalisierst die Frustration.
 
Frustration gehört zu uns Menschen. Wenn etwas in unserem Leben nicht funktioniert, ist das megafrustrierend. Das geht uns allen so.
 
Vielleicht fallen Dir Situationen ein, die Dich als Kind frustriert und wütend gemacht haben. Und wie Du damit umgegangen bist. Dein Kind wird es lieben, wenn Du ihm davon erzählst. Es wird ihm vermitteln, dass es nicht alleine auf der Welt ist mit seinen intensiven Gefühlen. Dass es einer oder eine von uns ist.
 
Damit ist auch klar: Ein frustriertes und wütendes Kind ist kein Kind mit schlechten Charakterzügen. Es ist auch kein unerzogenes Kind. Es ist auch kein Kind, mit dem Du in der Pubertät nicht mehr zurechtkommen wirst (nur für den Fall, dass Du diese Gedanken auch kennst...)
 
Es ist schlichtweg ein Kind mit intensiven Emotionen, das noch nicht gelernt hat, diese zu mäßigen. Ein Kind, das uns als Eltern an seiner Seite braucht, um mit seinen intensiven Emotionen angemessen umzugehen.
 
Und nur zur Erinnerung: Es liegt auch nicht daran, dass Du eine schlechte Mutter oder ein schlechter Vater bist. Oder zu viel Traumagepäck in Deinem Rucksack hast.
 
Wir haben alle unsere Stellen, an denen wir uns noch entwickeln dürfen.
 
Und es braucht Dich im Hier und Jetzt an der Seite Deines Kindes. 

Genauso wie Du jetzt gerade bist, kannst Du die Antwort für Dein Kind sein!

Wenn die Wut hochkocht - ein persönliches Beispiel

Meine Nichte ist 4 ½ - ein bezauberndes und hochsensitives Kind, das die Welt besonders intensiv wahrnimmt.
 
Ihre Wut kocht entsprechend leicht hoch.

Sie ist sofort von 0 auf 100: Sei es durch einen Streit mit ihrer großen Schwester oder etwas, das nicht nach ihrem Willen geht.
 
Dann schreit sie - schrill und hoch oder haut und kneift.
 
Ziemlich intensiv für alle Beteiligten ;-)
 
Das ist, was ich mit ihr ausprobiert habe: Statt zu sagen „Hör auf, deine große Schwester zu kneifen!“ habe ich ihr Verständnis entgegengebracht, ihre Frustration benannt und normalisiert: „Ich versteh dich so gut, Schwestern sind manchmal sooo nervig!“ und „das ist gerade so frustrierend für dich!“.
 
Und - ich habe ihr erlaubt, ihre Frustration für einen Moment ungebremst auszudrücken – mit mir! „Komm‘ her - hau hier drauf! Kneif mich! Ganz dolle! Noch doller!“
 
Und? Sie hat es geliebt!!! Und die Wutwelle ist innerhalb kürzester Zeit verebbt.
 
Ein anderes Mal – als viele Schimpfwörter aus ihrem Mund kamen, haben wir spontan ein Schimpfwörterspiel gestartet: „Wer findet die wüstesten Schimpfwörter?“
 
Worum geht’s bei den Beispielen im Kern?
 
Darum, dass die Frustration rauskommt:  Egal ob physisch oder verbal – der Weg ist immer von innen nach außen.
 
Und dein Job ist es, deinem Kind Ventile dafür an die Hand zu geben.
 
Ventile, die für dein Kind passen. Ventile, bei denen niemand zu Schaden kommt.
 
Klar ist: Ich empfehle dir nicht, deinen 14jährigen Sohn dazu einzuladen, dich zu schlagen. Und ich bin auch nicht masochistisch veranlagt 😉 es war nur für mich in dem Moment die spontanste Möglichkeit, meine kleine Nichte dazu einzuladen, ihre Frustration auszudrücken.
 
Beim nächsten Wutausbruch würde ich den Kinderboxsack, die Schwimmnudel oder ein anderes Spielventil bereithalten.
 
Beim Ausdrücken von Frustration wirkt Spiel nämlich Wunder.
 
Super sind: Alle Bewegungsspiele, um den Block rennen, wild tanzen, alle Ballsportarten von Basketball bis Squash, Dartspiele, Boxsack, Luftballons kicken, Schwimmnudelkämpfe, alle Bauspiele vom Jengaturm über Kapla bis hin zum Baumhaus, Musik von Trompete bis Trommel, paddeln, Gartenarbeit, Abenteuerspielplatz oder regelmäßige Bauernhofwochenenden mit Stallarbeit.
 
Schau welches Spiel für DEIN Kind passt und biete es deinem Kind regelmäßig an.

Hier geht's lang: Drei Auswege aus der Frustration

Anfang März bin ich mit Kind und Hund zu einem Roadtrip gestartet: Knapp 3000 Kilometer von Berlin zur andalusischen Mittelmeerküste. Mit Zwischenstopps in verträumten südfranzösischen Ortschaften und in rauhen Bergdörfern Nordspaniens, die eines gemeinsam hatten: Unendlich viele Verkehrskreisel.
 
Der Verkehrskreisel ist die perfekte Analogie für die verschiedenen Auswege von Frustration.
 
Stell dir vor: Etwas im Leben deines Kindes funktioniert nicht so wie gewünscht – der beste Freund hat keine Zeit zum Spielen, Papa kauft kein zweites Eis, beim Legoset fehlen die drei wichtigsten Bausteine.
 
Und schwupps – Frustration kommt in den Verkehrskreisel!
 
In den allermeisten Fällen wird dein Kind sogleich versuchen, die frustriende Situation zu verändern. Oder doch noch zum Funktionieren zu bringen. Oder es wird versuchen, dich umzustimmen: „Bitte Papa – nur noch ein Eis…bitte!“
 
Die erste Ausfahrt des Verkehrskreisels ist also – richtig! – VERÄNDERUNG.
 
Wenn die allerdings gesperrt ist – weil die Dinge sich nunmal nicht ändern lassen: Der Freund hat eben keine Zeit, du bleibst bei deinem Nein, die Legosteine lassen sich partout nicht auffinden….Dann wird‘s spannend!
 
Dann kommen wir nämlich zur nächsten Ausfahrt – die da heißt: ADAPTION.
 
Und falls du jetzt denkst: „Ähm – bitte was?“
 
…mit Adaption ist gemeint, dass dein Kind lernt, sich anzupassen an das, was sich nunmal nicht ändern lässt.  Dass es lernt, damit zurechtzukommen. Dass sein Gehirn checkt „ah – ich überlebe – auch ohne zweites Eis!“ ;-)
 
Diese Ausfahrt hat’s in sich, denn Adaption ist DIE Antwort auf Dinge, die sich nicht ändern lassen.
 
Adaption ist ein tief emotionaler Transformationsprozess. Der nicht jedem Kind immer so leicht gelingt.
 
Denn: Hier geht’s ums Loslassen. Um Enttäuschung und Traurigkeit - etwas sehr Verletzliches! Und dafür braucht es ein weiches Herz. Und ganz viel Sicherheit und Vertrauen.
 
Luxus sozusagen, der manchmal schlichtweg nicht zur Verfügung steht. Manchmal sind die Gefühle auch einfach zu groß, um gespürt zu werden. Manchmal kennt ein Kind gar kein NEIN in seinem Leben…
 
Und schwupps – sind schon zwei Ausfahrten versperrt: VERÄNDERUNG und ADAPTION.
 
Bleibt nur noch eine Ausfahrt übrig – nämlich ANGRIFF!
 
Dein Kind beißt, schlägt, tritt, schreit, beschimpft dich. Falls du das kennst, ist mein brandneuer Elternfahrplan „Wenn dein Kind wütend ist“ was für dich. Freu dich drauf! 
 
Übrigens: Der Verkehrskreisel ist nicht nur für den Blick auf dein Kind genial. Ganz einfach kannst du ihn auch auf dich selbst anwenden…

Heul doch: 5 Gründe weswegen weinen deinem Kind gut tut! 

Ich weiß ja nicht, wie deine letzten Wochen so waren - bei mir jedenfalls war der Wurm drin!

So viel hat nicht geklappt, wie ich es erhofft hatte: Plan A nicht, Plan B nicht. Plan C war auch murks.

Und dann: Kann man sich entweder grün und blau ärgern. Oder man findet zu seinen Tränen. Und wandert von Sauer zu Trauer.

Aber: wieso ist das überhaupt so wichtig mit den Tränen?

Und wieso ist es ein gutes Zeichen, wenn dein Kind sich dir anvertraut mit seinen Tränen und seiner Traurigkeit?

Aus einem einfachen Grund: Es zeigt, dass dein Kind dir von Herzen vertraut. Denn Tränen sind etwas sehr Verletzliches. Und das teilt man nicht mit jedem.

Deshalb sind Tränen für dein Kind wichtig:

  • Tränen ermöglichen deinem Kind, angesammelten Stress und Spannung abzubauen.


  • Findet dein Kind regelmäßig zu seinen Tränen, wirst du höchstwahrscheinlich weniger verbale oder körperliche Angriffe erleben. 


  • Tränen spülen das Herz deines Kindes weich! Und das braucht es, um fürsorglich und mitfühlend zu sein. Und um emotional heranzureifen.


  • Tränen lassen dein Kind mit dem sein, was sich nicht ändern lässt. Das bahnt den Weg für Resilienz...


  • Und: Mit den Tränen schwemmt dein Kind jede Menge Giftstoffe aus seinem seinem Körper aus. Wie praktisch ;-)


Hand aufs Herz: Wie ist deine Haltung zu den Tränen deines Kindes? Findet dein Kind leicht zu seinen Tränen? Wie sieht's bei dir aus?

P.S.: Sich seiner Verletzlichkeit hinzugeben braucht Mut! Thema des Podcasts Kurz & Mut, bei dem ich zu Gast war: Hier kannst du dir die beiden Episoden zu "Mutigen Eltern und mutigen Kindern" anhören.

All you need is empathy: Über Fürsorge und Empathie

Neulich hat mir die Mutter eines 9jährigen Sohnes geschrieben: "Als mein Sohn Besuch von seinen Schulkameraden hatte, haben sie in ihren Gesprächen ständig andere runtergemacht, über den Lehrer gelästert (den mein Sohn eigentlich total gut findet), sich besser gestellt - einfach null empathisch!"
 
Die Mutter war aufgewühlt von der mangelnden Empathie in den Gesprächen ihres Sohnes und fragte: "Kann man Empathie mit 9 erwarten? Wie kann man das vermitteln?"
 
Das Ding ist: Empathie ist keine Technik, die sich antrainieren lässt.

Jedenfalls nicht die echte Empathie, die von Herzen kommt.

Echte Empathie basiert auf Fürsorglichkeit. Und die ist in uns allen angelegt.

Fürsorglichkeit ist etwas, das natürlicherweise zum Vorschein kommt, wenn dein Kind sich umsorgt und geliebt fühlt.

Fürsorglichkeit ist aber auch etwas, das verloren gehen kann. Wenn das Herz deines Kindes - aus welchen Gründen auch immer - sich ein stückweit gepanzert hat. Wenn zu viel Verletzendes passiert ist.

An der Stelle braucht es deine eigenen fürsorglichen Gefühle ganz besonders!

Fürsorglichkeit plus die Fähigkeit, sich in ein anderes Wesen einzufühlen und die Welt durch dessen Augen zu sehen: Ergibt Empathie!

Dafür brauchts aber ein gewisses Maß an Reife. Das kann kein Vorschulkind.

Wohl aber ein 9jähriger!

Nur: In dem Beispiel oben wurde die Empathie der Coolness unter Gleichaltrigen geopfert. Und das (hoffentlich) nur vorübergehend während des Besuches der Schulkameraden.

Die gute Nachricht ist: Indem du deinem Kind Empathie und Fürsorge zukommen lässt, weichst du sein Herz wieder auf und die Empathie kommt zurück.

Mitgefühl und Fürsorglichkeit und viele andere Eigenschaften, aus denen unsere Menschlichkeit spricht, entspringen einem weichen Herzen.
 
Mit seinem weichen Herzen und seiner Verletzlichkeit kann sich dein Kind am leichtesten in der Gegenwart eines fürsorglichen Erwachsenen zeigen. Also: Mit DIR!

LET'S PLAY: Warum Spielen jetzt genau das Richtige für dein Kind ist

In gewisser Weise hat mich das Blockflöte spielen (und ja - auch meine heißgeliebte Großmutter…) durch meine Kindheit getragen.

Als Kind hab ich gespielt, gespielt, gespielt: Flöte vor der Schule, Flöte nach der Schule, Flöte vor dem Zubettgehen.

Das mag jetzt vielleicht ein wenig seltsam klingen.

Aber die Wahrheit ist: Inmitten von Einsamkeit und Alarm war das Spiel - im Speziellen die Musik - mein Kokon von Geborgenheit und mein Schutzschirm!

In unsicheren Zeiten IST Spiel der Retter.

Spiel lässt uns Sicherheit erleben - auch wenn’s im Außen alles andere als sicher ist (ein brillantes Beispiel hierfür ist Roberto Benignis Film „Das Leben ist schön“)

Aber was ist mit Spiel überhaupt gemeint?

Spiel ist alles wo’s nicht ums Ergebnis geht.

Spiel ist das Gegenteil von Arbeit.

Im Spiel geht’s ums Ausprobieren ohne Konsequenzen. Um Phantasie. Ums Entdecken. Und um Freude und Spaß.

Spielformen gibt’s wie Sand am Meer: Das kann für das eine Kind das Legospiel ein. Ein anderes Kind versinkt in Rollenspielen. Oder dein Kind taucht mit seinen Lieblingsbüchern in magische Welten ein. Oder es faltet bunte Papierkraniche. Baut Baumhäuser. Oder spielt Puppenküche. Oder eben Blockflöte…

All den unterschiedlichen Spielformen ist eins gemeinsam: Sie schaffen eine Auszeit von der Realität!

Aber Spiel kann noch viel mehr.

Spiel

  • ist Ausdruck des kindlichen Selbst
  • bringt die Emotionen deines Kindes zum Fliessen und ist ein Ventil für Belastendes
  • lässt dein Kind zur Ruhe kommen (schon gewußt? Im Spiel werden ähnliche Gehirnwellen wie während des Schlafens gemessen…)
  • dient der Entwicklung und bewahrt die seelische Gesundheit deines Kindes.


Last but not least: Spiel schafft Verbindung.

Kein Wunder: Verspieltheit ist einfach unwiderstehlich!

Was ist das Lieblingsspiel deines Kindes? Was ist dein Lieblingsspiel?

Probiers doch einfach mal aus. Es lohnt sich!

P.S.: Viele Spielideen findest du auch in meinem Wut-Miniguide - wunderschön illustriert von Anne Tenhaef ❤️  Melde dich zu meinem Newsletter an und der Wut-Miniguide landet kurze Zeit später in deinem Postfach! 

Mir ist so laaangweilig! Warum weniger oft mehr für dein Kind ist.

Ich wette, diesen Satz hast du schon mal von deinem Kind gehört: "Mir ist soo laaangweilig!"

Und? Wie reagierst du darauf? Überlegst du dir in Blitzesschnelle, welche Aktivitäten du deinem Kind vorschlagen kannst? Oder bist du genervt davon, dass dein Kind gerade gelangweilt ist?

Eins ist klar: Langeweile und das damit einhergehende Gefühl von Leere sind gar nicht so leicht zu ertragen! Weder für dein Kind noch für uns als Erwachsene.

Und - die Verlockung, die Leere gleich zu füllen ist groß: Durch ein Spielangebot, eine Verabredung mit Gleichaltrigen oder durch Medienzeit.

(Wie oft am Tag schaust du so auf dein Smartphone in einem kurzen Moment der Langeweile? 😉)

Aber was hat es überhaupt auf sich mit der Langeweile?

Und - brauchen Kinder, die gelangweilt sind, wirklich mehr Stimulation und attraktivere Angebote?

Nee, nicht wirklich.

Denn: Wenn ein Kind sich in seiner Bindungsbeziehung sicher fühlt, kann es sich aus sich heraus alleine beschäftigen. Das können sogar schon 8 Monate alte Babys ganz gut - zumindest für eine Weile...

Es ist ein Mythos, dass Kinder bespaßt werden müssen!

Höchstens braucht dein Kind eine Brücke von dir, um in sein Spiel oder seine eigene Form kreativen Alleinseins zu finden.

Oder es braucht dich als Vorbild für spielerisches Alleinsein.

Und: 

  • Jedes Kind sollte Zeiten ohne Verabredungen, Medien, Beschulung oder andere strukturierte Aktivitäten in seinem Leben haben. 
  • Diese Leerräume müssen wir aktiv schaffen und schützen (puh - ich weiß, nichts leichter als das im Zeitalter von Tablet & Co....)
  • Sie sind die Vorbedingung für das Entfalten von Spiel, Kreativität, Fantasie und Neugier (das Gegenmittel zu Langeweile...)
  • Dein Kind kann in diesen Zeiten zur Ruhe kommen und in sein eigenes Selbst (zurück) finden.


Denn: Wirkliche Fülle und Sattheit können wir nur erleben wenn wir uns auch mal leer fühlen! 


Ist deinem Kind allerdings chronisch langweilig ist und es findet gar nicht mehr ins eigene Spiel, braucht es das genauere Hinschauen: Was fehlt im Leben deines Kindes? Braucht es ein Gesprächsangebot? Ein Bindungsangebot? Oder doch eine Art "Schuhlöffel", damit es in sein eigenes Spiel findet?

Es lohnt sich jedenfalls, dein Kind mit seiner Langeweile besser zu verstehen, um angemessene Antworten darauf zu finden.

P.S.: Mein Wundermittel gegen Langeweile: Musik! Einen sehr persönlichen Austausch über meine große Leidenschaft und die Heilkraft von Musik gibt's im jüngsten Interview mit Elternberaterin Jule Epp. Hier findest du die Audioversion.

Herzenssachen: Warum Fühlen Dein Kind stärkt

Mancher Sturm im Leben eines jungen Kindes fordert uns als Eltern ganz schön heraus: Gefühle bei Kindern unter 7 sind oftmals groß, pur und ungebändigt. So gilt die Vorschulzeit zu recht als die „gewalttätigste Zeit“ im Leben eines Kindes. Denn erst mit zunehmender Reife und Gehirnentwicklung kann ein Kind sich emotional mäßigen. Völlig unvermittelt haben wir zuweilen einen kleinen tobenden Feuerball vor uns, der für uns schwer zu bändigen scheint und uns an den Rand der eigenen nervlichen Belastbarkeit bringt. Oder ein Kind voller Angst und Alarm angesichts von bevorstehender Trennung - beispielsweise beim abendlichen Schlafengehen. Auch die Traurigkeit unseres eigenen Kindes auszuhalten und zu begleiten kann ganz schön herausfordernd sein - je nachdem auch wie es uns mit unserer eigenen Emotionalität geht.

So liegt es manchmal nahe, unserem Kind zu vermitteln: „Du brauchst keine Angst zu haben!“ oder auch „hör doch endlich auf zu weinen“ oder wohlmeinende Aufforderungen, das Kind solle sich doch endlich beruhigen. Eines der größten Geschenke, die wir unseren Kindern machen können, ist jedoch, ihnen zu vermitteln dass ihre Gefühlsstürme da sein dürfen und ja - dass sie zu uns Menschen und zur menschlichen Natur gehören. Es ist normal, frustriert zu sein angesichts von etwas was nicht funktioniert. Alarmiert zu sein angesichts von Trennung. Traurig zu sein angesichts von Verlust und Enttäuschung. Unsere Emotionalität verbindet uns übrigens auch mit den Säugetieren, bei denen es ebenfalls Frustration, Alarm, Traurigkeit und Schmerz gibt.

Alle unsere Emotionen haben eine Aufgabe, sie sind für uns da: Sie sollen uns zu etwas bewegen, sie wollen gefühlt und ausgedrückt werden. Alarm beispielsweise ist dazu da, uns zur Vorsicht zu bewegen. Frustration will uns dazu bewegen, etwas zu verändern was so für uns nicht funktioniert hat. Und Traurigkeit soll uns dabei helfen, zu unseren Tränen zu finden angesichts von Enttäuschung und Verlust. Und nicht zuletzt, uns erfinderisch und widerstandsfähig zu machen im Umgang mit den unvermeidlichen Windungen und Herausforderungen des Lebens.

Emotionen sind ihrer Natur nach vergleichbar mit elektrischer Ladung, die nach Entladung strebt: Wie ein Blitz in einem Sommergewitter strebt die angestaute Frustration eines Kindes nach Entladung. Wir sind gut beraten, dem Kind bei diesem Entladungsprozess zur Seite zu stehen statt es dazu zu drängen, die Ladung zu unterdrücken (genausowenig würdest du dein Kind dazu drängen wollen, seine natürlichen Verdauungsprozesse zu unterdrücken, oder?).

Gleichzeitig gibt es selbstverständlich Orte und Situationen, die besser zum Entladen starker Emotionen geeignet sind als vor versammeltem Publikum an der Supermarktkasse. Haben wir einen Einfluß auf den Kontext für eine emotionale Entladung, so ist es ratsam diesen weise auszuwählen - also eher einen geschützten Raum dafür zu wählen. Besonders auch nach Zeiten der Trennung, in denen das Kind im Kindergarten oder in der Schule war und seinen Emotionen keinen freien Lauf lassen konnte, müssen wir diese emotionalen Entladungen vorhersehen und sichere Räume dafür schaffen. 

In jedem Fall müssen wir jedoch der Fels in der Brandung für unsere Kinder sein - gerade bei hohem Wellengang und in stürmischen Zeiten. Es ist wichtig, dass wir als Eltern alle Emotionen des Kindes einladen und nicht nur die sogenannten „positiven“ Emotionen, d.h. wir muten es unserem Kind zu und trauen es ihm auch zu, z.B. Enttäuschung zu fühlen. Dabei bleiben wir an der Seite des Kindes und halten das Kind in seiner Trauer und Enttäuschung, bis irgendwann die Tränen zu fliessen beginnen. Diese Tränen sind kostbar - mit ihnen werden übrigens unzählige Giftstoffe aus dem Körper geschwemmt. Zentral sind die Tränen jedoch vor allen Dingen weil das kindliche Gehirn damit eine wichtige Erfahrung macht  - nämlich: „Etwas hat nicht so funktioniert wie ich wollte UND ich habe es überlebt…“ - daraus erwächst Frustrationstoleranz, Widerstandskraft und Erfindungsreichtum angesichts von Widrigkeiten. 

Für uns als Eltern kann es an der Stelle sehr hilfreich sein, unser Kind und dessen Körpersprache in Hinblick auf seine Emotionalität lesen zu lernen und uns damit vertraut zu machen. Wie drückt sich unser Kind aus mit seiner Freude, seiner Frustration, Alarm, Traurigkeit, Enttäuschung und seinem Schmerz? Darauf basierend können wir als Eltern unsere Kinder dann dabei unterstützen, Worte für Emotionen zu finden. Worte können hilfreich sein, um mit etwas in Beziehung zu gehen und Emotionen zu normalisieren und als etwas Natürliches zu beschreiben: „Wie traurig, dass der Lego-Turm eingebrochen ist…“ - „Ah - ich sehe bei Dir ist gerade ganz viel Alarm. Es ist doch ganz normal dass es Dir Angst macht im Dunkeln alleine zu sein. Das geht uns allen so… “ Oder „da funktioniert gerade etwas für Dich nicht. Es ist ganz natürlich dass Du da frustriert bist…“

Das Fühlen und Ausdrücken von Emotionen stärkt jedenfalls nicht nur die Resilienz eines Kindes sondern ist auch eine wichtige Grundlage für das Entwickeln von Reife und Ausgeglichenheit. Tugenden und soziale Kompetenzen wie Geduld, Rücksicht, Empathie sowie eine Beziehung zu Gerechtigkeit entwickeln sich aus einem fühlenden Herzen und sind Schlüssel zu unserer Menschlichkeit. Insofern sind Emotionen kostbare Entwicklungshelfer und der Motor für menschliche Reifwerdung. 

Nimm Dir einen Moment Zeit um zu schauen wie Du Deinen eigenen Emotionen gegenüberstehst - wie geht es Dir damit? Kannst Du Freude, Frustration, Alarm oder auch Traurigkeit bei Dir zulassen? Oder nur ausgewählte Emotionen und andere eher nicht? Wie geht es Dir damit wenn Dein Kind Emotionen ausdrückt, seine Angst, seine Traurigkeit oder wenn Dein Kind einen Wutanfall bekommt?

Schau doch einmal ob Du Dich auf den Perspektivwechsel einlassen kannst: Emotionen gehören zu uns als Menschen und sie haben eine Aufgabe. Unsere Aufgabe als Eltern ist es, unseren Kindern zur Seite zu stehen, damit sie ihre Emotionen fühlen und ausdrücken können. Vielleicht hilft hier ein Satz wie: „ich sehe bei Dir ist gerade viel Frustration. Lass mich dir helfen, deine Frustration herauszubekommen!“ oder „immer wenn ich richtig traurig bin hilft mir….meine Kuscheltier/meine Kuscheldecke/mein Lieblingsbuch/meine Lieblingsmusik“ oder „als ich so alt war wie du bin ich bei Wut immer rennen gegangen/habe laut mit Wutmusik getanzt/habe ins Klo geschimpft und dann abgezogen/aus Papier Wutbällchen geknüllt und gegen die Wand geworfen etc.

Was kann Dich dabei unterstützen, die Emotionen Deines Kindes besser lesen zu lernen, diese einzuladen und Dein Kind damit zu halten? Was braucht es an der Stelle für Dich? 

Echtes Spiel - so was von magisch! 

Erscheint es Dir auch zuweilen so als sei dein Kind über Nacht ein paar Zentimeter größer geworden? Tatsächlich gehen Wissenschaftler davon aus, dass ein Großteil des Knochenwachstums bei Kindern in Ruhe- und Schlafzeiten geschieht. Auch viele andere Entwicklungs- und Wachstumsprozesse geschehen von einem Platz der Ruhe aus. Wenn wir in die Natur blicken ist es der natürliche Rhythmus der Jahreszeiten, der uns dieses Lebensprinzip aufzeigt: Auf den Winter - in dem sich die Natur ausruht und in dem kein sichtbares Wachstum stattfindet - folgt der Frühling mit all seinem Sprießen und Wachsen und dem neuen Leben. Ruhe und Regeneration scheinen somit wichtige Bedingungen für gesunde Entwicklung zu sein.

Nun gibt es neben der Regeneration, die beim Schlafen erfolgt, noch eine andere Form der Regeneration, die ähnlich effektiv wie das Schlafen ist - nämlich das Spielen. Forscher haben herausgefunden, dass die Gehirnwellen während des Spielens den während des Schlafes messbaren Gehirnwellen ähneln.

Natürlicherweise spielen alle gesunden jungen Säugetiere und auch unsere Kinder - wenn wir die dafür benötigten Bedingungen bereitstellen. In unserer Kultur wird dem freien Spiel jedoch wenig Bedeutsamkeit beigemessen und mehr und mehr Eltern berichten, dass ihre Kinder nicht mehr in versunkenes Spiel hineinfinden. Spiel ist nichts Dringendes und wird häufig überlagert von unserem Fokus auf Arbeit, Effizienz und Ergebnisse.

Echtes Spiel dient der Regeneration und ist ein Kokon für Transformation. Es ist eine Oase der Sicherheit und eine wichtige Aus-Zeit vom echten Leben: Das Kind kann sich von der Welt ausruhen und geht gleichzeitig mit der eigenen Lebenswelt in Beziehung. Das Kind drückt sich selbst und seine Emotionen aus und es entwickelt sich im Spiel in seine eigene Individualität hinein. Das echte Spiel ist gekennzeichnet von einer Bewegung, die von innen nach außen geht - wie ein Ausatmen des Kindes und dieses Kriterium erfüllt kein Videospiel. Es kann ein Spielfilm oder ein Hörspiel sein, wenn das Kind sich davon bewegen lässt. Oder ein Buch, das die Phantasie des Kindes anregt oder es dem Kind ermöglicht, indirekt mit seinen Emotionen in Verbindung zu gehen.

Das Spiel kümmert sich sozusagen um die Emotionen insofern als dass das Kind seinen Alarm, seine Frustration, seine Trauer und seinen Schmerz ins Spiel einfliessen lässt, diese zum Ausdruck kommen und sich verwandeln können. Im kreativen Spiel werden weiterhin Problemlösenetzwerke im Gehirn gebildet, die unseren Kindern später als Basis für schulisches Arbeiten dienen.

Das weite Reich des Spiels umfasst unzählige Spielwiesen und je nach Kind unterscheiden sich die Spieleneigungen und Lieblingsspiele - von Bewegungsspielen wie rennen, klettern, schaukeln, toben, Ball spielen, schwimmen, tanzen, Einrad fahren über Bauspiele - Baumhäuser, Höhlen oder Tipis bauen, werken, töpfern, Musik - singen oder ein Instrument spielen, kochen, backen, Naturmandalas, Rollenspiele, Gedichte oder Tagebuch schreiben, zeichnen, malen, Brettspiele, Puzzle usw.

Spiel wird leicht von Arbeit überlagert und braucht daher unseren Schutz. Um Spiel zu schützen kannst Du bewußt freie Zeit und Leerräume im Leben Deines Kindes schaffen - frei von strukturierten Aktivitäten, frei von Treffen mit Freunden oder auch Geschwistern und frei von Bildschirmen. Du kannst Deinem Kind oder Deinen Kindern eine spielfreundliche Umgebung anbieten, eine Umgebung die das kindliche Spiel einlädt - dies kann ganz einfach sein und je nach Alter und Spieleneigung des Kindes ein matschiges Stück Erde, ein Bach, ein knorriger Kletterbaum, verschiedenartige Hölzer und Stöcke, Murmeln, Bälle, Papier, Stift und Schere oder ein Puzzle sein. Hilfreich sind auch Spielerituale wie Spieleabende, Familienspielzeiten oder auch Jahreszeitenspiele.

Sobald das Kind ins Spiel gefunden hat, ist „wohlwollende Nachlässigkeit“ angesagt in dem Sinne dass Du das Kind in seinem natürlichen Tun wahrnimmst, dessen Spiel-Raum schützt und das Kind in seinem Tun möglichst nicht unterbrichst. Versuche auch davon abzusehen, das Kind für sein Spiel zu loben, damit sich das absichtslose Spiel des Kindes nicht in Arbeit verwandelt und das Kind es nicht tut, um Dir zu gefallen und versucht, durch Spiel Wertschätzung von Dir zu erlangen.

Obgleich es so unscheinbar daherkommt hat und häufig als ineffektiv und zeitverschwenderisch angesehen wird hat das kindliche Spiel es also in sich. Das (kindliche) Spiel ist in Wahrheit ein potenter Entwicklungshelfer und eine natürliche Heilquelle  - nicht nur, aber auch - in schwierigen Zeiten sowie eine wirkungsvolle Vorbereitung für das Leben unserer Kinder.

  • Wie erlebst Du Dein Kind oder Deine Kinder in Bezug auf Spiel? 


  • Wie ist Deine eigene Haltung zu Spiel? Gibt es eine Wertschätzung dafür? Oder räumst Du formalem Lernen und Förderung eine höhere Priorität im Leben Deines Kindes ein?


  • Was ist die natürliche Spieleneigung Deines Kindes, bei welchem Spiel leuchten die Augen Deines Kindes?  


  • Wie kannst Du Dein Kind in seiner natürlichen Spieleneigung unterstützen? 


  • Vielleicht magst Du auch noch Deine eigene Spieleneigung erforschen: Was hat Dir als Kind Freude gemacht? Welches Spiel lässt Dich als Erwachsener lebendig fühlen?